Der Verein hat gut 60 Mitglieder im Alter von 35 Jahren aufwärts, wobei das obere Ende der Skala dominiert und die Mitgliederzahl eher ab- als zunimmt. Acht Sammler nehmen heute am Treffen teil, vier haben sich entschuldigen lassen. Zu Beginn kommt sogar noch ein Neuzugang, der sich den Oltner Philatelisten anschliessen möchte. «Gut», kommentiert Vereinspräsident Reinhold Huber die Präsenzliste.
Huber ist selbst in seinen Siebzigern und präsidiert den Verein seit 16 Jahren. «Es ist schwierig, einen Nachfolger zu finden», erzählt er, eigentlich würde er das
Präsidium bald abgeben wollen: «Aber im Moment gibt es keinen willigen Kandidaten.» Das Ambiente während des Treffens ist entspannt und gemütlich, man ist unter Freunden und
Seinesgleichen.
Die Nachfolge-Frage beschäftigt in der ganzen Szene, am Vereinstreffen jedoch dominiert ein ganz anderes Thema: Fälschungen. Die Philatelieszene ist anfällig für
unlauteres Treiben. Im Grunde dürfte jede Briefmarke nur mit entsprechendem Echtheitszertifikat gekauft werden, um sich abzusichern. Dabei stellen sich aber zwei Probleme: Zum einen sind auch
Briefmarkenprüfer nur Menschen, sprich: Sie machen manchmal auch Fehler. Zum anderen lohnt sich die Prüfung nicht bei jeder Briefmarke. Ein Attest kostet 20
bis 50 Franken. Bei einer Marke, die für 100 Franken den Besitzer wechseln soll, macht sich darum kaum einer die Mühe einer professionellen Untersuchung. Bei teureren Exemplaren kommt
schliesslich noch eine prozentuale Kommission, die sich am Markenwert bemisst, hinzu. «In den meisten Fällen kann ein erfahrener Sammler allerdings selbst zwischen echt und falsch unterscheiden»,
ist Huber überzeugt. Genau deswegen sei es auch wichtig, sich als Philatelist in einem Verein zu engagieren. Das kollektive Wissen macht den Gang zum professionellen Prüfer oft
überflüssig.
Ein heiss diskutiertes Thema sind etwa Nachgummierungen. Dabei wird alten Marken, die einen gewissen Wert haben, eine neue Leimschicht auf der Rückseite verpasst,
damit scheinen sie wieder «postfrisch». Dies kann den Preis eines Exemplars ungemein steigern, zum Vergleich: Ein Marke in tadellosem Zustand aber ohne Gummierung hat nach einer Faustregel noch
zehn Prozent des ursprünglichen Werts. Im Verein ist man überzeugt, dass vor allem in Deutschland eine ganze Fälschungsindustrie existiert – nicht bloss für Nachgummierungen. Woher die jeweilige
Fälschung kommt, ist sowieso egal, denn: «Der Sammler wird über den Tisch gezogen», ist der Oltener Philatelistenvereins-Präsident Reinhold Huber überzeugt. Hierbei zeigt sich auch der
idealistische Trieb, den viele Sammler teilen: Objektiv sollte es in einem Sammlerkontext keinen Unterschied machen, ob die Gummierung einer ansonsten intakten Marke noch existiert. Die prangen
ja ohnehin nur im Album. Der Philatelist kauft sich allerdings nicht bloss eine Briefmarke, er kauft sich ein Stück echte Geschichte. Da passt eine lieblos draufgepappte Leimschicht, die nur für
den Profit nachgezogen wird, nun mal nicht ins Bild. Nachgummierungen gehören allerdings nicht zu den Fälschungen, die für Kenner schwierig auszumachen sind.
Tragen die Fälscher den Leim neu auf dem Postwertzeichen auf, gelingt es ihnen nicht, diesen bis in die Zacken zu ziehen. Zu delikat ist das Material. Mit einer handelsüblichen Lupe ist der
Betrug meist schon zu erkennen.
Solch Unlauteres Treiben ist für Sammler besonders ärgerlich, da Geld bei ihrem Hobby oft nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es geht ihnen um den Sammlertrieb,
die Freude daran, ein Set oder ein spezielles Philatelie-Gebiet zu vervollständigen. Auch mit «Abarten», also beispielsweise Fehldrucken, dem «Salz jeder Sammlung», wie es Huber ausdrückt. Neben
dieser Schatzsuche nach der einen noch fehlenden Briefmarke, ist die Philatelie für ihn auch deswegen so faszinierend, weil dem Gebiet ein scheinbar unendlicher Wissensfundus zugrunde
liegt.
Als beispielsweise Anfang des 20. Jahrhunderts der Hauenstein-Basistunnel gebaut wurde, entstand auf dem Gebiet der Gemeinde Trimbach eine riesige Arbeitersiedlung
- «Tripolis» -, bewohnt vor allem von italienischen Gastarbeitern. Die Besonderheit dieses Arbeiterdorfs bestand darin, dass es die einzige Baustellensiedlung der Schweiz mit eigener Poststelle
war. Entsprechend begehrt sind philatelistische Sammlerstücke, die den «Tripolis»-Stempel tragen. Solche Exkursionen in Historie und Vergangenheit gehören zum Philatelisten-Leben, wie die Marke
auf das Couvert.
Philatelisten sammeln also nicht nur sterile Briefmarken. Sie sind an so ziemlich allem interessiert, das mit der Post und dem Briefverkehr zu tun hat. Was von Wert
ist und was nicht, ist als Aussenstehender oft nur schwierig abzuschätzen. Eine «postfrische», also ungebrauchte, Briefmarke ist in den Augen der Sammler nicht zwingend begehrter als ein
abgestempeltes Pendant. Und eine Marke, die noch auf dem originalen Umschlag prangt, samt Stempel, kann ein Sammlerherz in ungeahnte Höhen schlagen lassen. Denn diese Mark hat Geschichte
erlebt.
Natürlich gibt es Philateliekataloge, die Postwertzeichen und Preise listen. Diese dienen allerdings eher der Orientierung, als Ankerpunt in der heutigen
Briefmarkenschwemme. Schlussendlich entscheidet die Nachfrage. Eine Sammlung, die einen Katalogpreis von Zehntausenden Franken erzielt, ginge nach der gängigen Faustregel für etwa zehn Prozent
dieses Werts über die Theke. Das kümmert Sammler allerdings herzlich wenig: «Wir machen das nicht des Geldes wegen, sondern weil das unsere Leidenschaft ist», gibt sich Reinhold Huber
überzeugt.
Philatelisten haben typischerweise in ihrer Kindheit mit dem Sammeln angefangen, in der Zeit zwischen Lehre und Familie auf Pause geschaltet und ihre Passion
wiederentdeckt, als die Kinder alt genug wurden, auf sich selbst aufzupassen. So auch Reinhold Huber: «Ich habe als Kind Briefmarken gesammelt», erzählt er. «In meiner Jugend habe ich dann
allerdings meine ganze Sammlung für eine Gitarre verkauf», fährt er amüsiert weiter. Das Sammelfieber hat ihn erst später wieder gepackt, wenn also nach den «Jungen» in der Szene gesucht wird,
müssen die Erwartungen angepasst werden. Mit Mitte 40 gehört man in einem Verein noch zu den Junioren. Trotzdem beklagt die Szene einen altersbedingten Wegbruch der breiten Sammlerbasis, was zu
einer paradoxen Situation führt. Einerseits gibt es in den normalen Preissegmenten einen Preiszerfall, Briefmarken als Wertanlage lohnen sich nicht länger, ist der Tenor. Andererseits wird in
bereits teure Marken investiert, deren Wert, so die allgemeine Überzeugung, wird sich nur noch steigern.